DING-DONG, RING-RING, MA-MA-MAMAMIA- und alle so: Häh?!

Was erwartet man von einem „Lehrstück ohne Lehre“? Zumindest eines: Verwirrung! Beim Total Theater Treffen in Luxemburg schaffte das Trierer Ensemble um Steffen Lars Popps Inszenierung „Biedermann und die Brandstifter“ jedoch mehr als das. Mit allen Mitteln des Theaters versetzte es das Théâtre National bei einer fulminanten Dernière in Feuer und Flamme.

 Tuscheln im Publikum. Irritation auf drei Sprachen. Da hat doch glatt der Biedermann, hervorragend gespielt von Klaus-Michael Nix, seinen Text vergessen! Ungeniert wendet er sich an die Souffleuse in der ersten Reihe. Die steht auf, winkt und hilft ihm aus. Soll jetzt geklatscht werden? War dieser Bruch geplant? Oder ein gar zu menschlicher Zug, ein „Fehlerchen“, der mit einem Schmunzeln verziehen werden kann? Auflösung hierfür gibt es keine, nicht einmal im Nachgespräch mit den Schauspielerkollegen Tim Olrik Stöneberg (Polizist/Dr. Phil./Chor) und Jan Brunhoeber (Brandstifter Eisenring).

Ob geplant oder ungeplant: Die Trierer Inszenierung ist voller Momente, die das feurige Thema des Stückes auf die Spitze treiben.  Ob Klamotten- oder gar Rollentausch, musikalische Untermalung,  Ankündigungen und „mündliche Schüsse“ durch das Megaphon, Live-Synchronisationen, verlangsamtes, chorisches oder sich wiederholendes Sprechen und Silbenstottern – die Palette an gängigen Theatermitteln wird vollkommen ausgespielt und regt das Publikum zu Diskussionen an. Doch auch der Inhalt des 1958 uraufgeführten Schweizer Dramas, geschrieben von Max Frisch, nimmt die oft fassungslosen Zuschauer an der Hand, um sie im nächsten Moment wieder von sich zu stoßen.

Doch von vorne: Die Sirene des Megaphons schlägt Alarm. Der Chor (Stöneberg, Sabine Brandauer) warnt vor hausierenden Brandstiftern, die in der Stadt ihr Unwesen treiben. Äußerst misstrauisch jedem Besucher gegenüber lebt auch das Ehepaar Biedermann in seiner perfekt angelegten Wohnung. Er: ein selbstgerechter, erfolgreicher Eigentümer einer Haarwasserfabrik; sie (Barbara Ullmann): eine sich nach Zärtlichkeit verzehrende Herzkranke. Zusammen ergeben sie das Vorzeige-Spießer-Ehepaar mit Dachterrasse, Silberbesteck und Hausmädchen Anna (lebendig gespielt von Alina Wolff). Letzteres will nicht so ganz in die Reihe des perfekt Gepflegten und Gehegten passen. Die kecke Servante schlüpft über den Verlauf des Stückes hinweg in mehrere Kostüme und Rollen, schreit, singt, lebt – im Gegensatz zu ihren Hausherren – ein buntes Leben. Sie ist es auch, die den fatalen Besucher ins Haus holt. Der junge Mann (Christian Miedreich) stellt sich vor: „Mein Name ist Schmitz, ich bin obdachlos.“ Damit das auch niemand vergisst, wird es mehrere Male wiederholt. Durch geschickte Aufdringlichkeit sitzt er bald mit dem biederen Unternehmerpaar am Esstisch. Auf absurde Weise hat er Gottlieb Biedermanns Rauswurf-Haltung in die Idee umgewandelt, ein herzensguter Mensch zu sein, dessen Charakter es nicht zuließe, einen armen, vom Schicksal gebeutelten Tropf im Regen stehen zu lassen. Und das obwohl den Anzugträger nicht einmal der Selbstmord eines ehemaligen Angestellten aus dem Konzept bringen kann.

Doch Biedermanns lassen sich kneten und verbiegen sich bis zum Geht-Nicht-Mehr. Von stolzen Mitgliedern der „Oberen Zehntausend“ werden sie zu nach Anerkennung ringenden Sklaven der Brandstifter. Von jeglichen Vorurteilen scheinbar befreit und um (sich selbst) zu gefallen, verwerfen sie Ängste – frei nach dem Motto: Solange ich gut handle, kann mir nichts Böses widerfahren… Doch weit gefehlt! Wie selbstverständlich entwickelt sich auf Biedermanns Grund und Boden eine Wohngemeinschaft, die aus falschem Ehrgefühl, unangebrachtem Festhalten an Etikette und naivem Glaube an das Gute im falschen Menschen erst möglich gemacht wurde. Denn schon steht Schmitzens Kumpel vor der Tür. Eisenring, ehemaliger Kellner in einem abgebrannten Nobelrestaurant und Ex-Häftling, bringt ein explosives Gepäck mit: drei Bottiche Nitroglycerin. Im Keller ist ja Platz dafür. Jeder im Publikum weiß, wen er mit den beiden schrägen Gestalten vor sich hat. Nur Herr Biedermann nimmt den Ernst der Lage mit erzwungenem Humor hin: Warum nicht mal den Sprengkopf suchen? Im Wortwechselspiel vermischen sich auf einmal alle Figuren, Biedermann spricht Schmitz, Schmitz spricht Biedermann. Am Ende ist es auch der überrumpelte Unternehmer, der den Funken überträgt. Trotz aller überführenden Indizien hält er am irrwitzigen Glauben an die Unschuld der Brandstifter fest und überreicht ihnen zum Zeichen des Vertrauens seine Streichholzschachtel. Das vorhersehbare Inferno folgt. Biedermanns zuvor gestellte Frage an das ungläubige Publikum hallt in dessen Köpfen nach: „Wussten Sie, dass es Brandstifter sind?“

Ja, wir wussten es. Schon als immer wieder Szenen aus dem thematisch passenden Film „Fight Club“ an die Wand projiziert wurden. Schon als beiläufig „The Roof Is On Fire“ auf der Gitarre geklimpert wurde. Schon als uns Eisenring die drei Prinzipien der Vertrauenserschleichung (1. Die nackte Wahrheit erzählen, 2. Der Scherz, 3. Berührende Schicksale preisgeben) offen vortrug, während er die Badewanne mit explosiver Flüssigkeit füllte. Trotzdem vollzog sich keine Abwendung des tragischen Schicksals. Und gerade deswegen, weil uns diese Unlogik verwirrt, suchen wir nach plausiblen Antworten. Und finden keine. Voller Erfolg für Max Frischs „Lehrstück ohne Lehre“. Es wirkt bis heute und hinterlässt ein mulmiges Gefühl von Handlungsunfähigkeit. Popps Inszenierung arbeitet dabei gekonnt mit Verfremdung, sodass dem ganzen Verwirrspiel noch eine Schippe obendrauf gesetzt wird. Somit wird „Biedermann und die Brandstifter“, unter höflich verhaltenem Luxemburger Applaus, schlussendlich auch zu einem Lehrstück ohne Leere.

 Wer dieses gelungene Theaterfest verpasst hat, kann „Biedermann und die Brandstifter“ im Theater Trier noch an folgenden zwei Terminen in all seiner Fülle genießen:

 Freitag, 28.11.2014, 20h, Großes Haus

Samstag. 27.12.2014, 19.30h, Großes Haus

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