„Es lohnt sich Umwege zu nehmen, um sich treu zu bleiben.“

Interview mit der luxemburgischen Schauspielerin Marie Jun

Die Münchener Kammerspiele sind mit Shakespeares „König Lear“ zu Gast auf der Bühne des Grand Théâtre in Luxemburg. Mit dabei ist Marie Jung, eine junge Schauspielerin, die in Luxemburg geboren wurde. Sie wird die „Cordelia“ spielen, die Tochter des Königs Lear, die sich weigert auf das Spiel ihres Vaters einzugehen: „die Tochter, die mich am meisten liebt, bekommt das meiste Land.“

Grrrrr.eu hat Marie Jung vor der Vorstellung getroffen. Ein großer roter Schal liegt um ihre Schultern, die Haare sind jungenhaft kurz und die Augen schauen sich aufmerksam um. Während wir uns unterhalten, kommt ihre natürliche und kecke Art hervor…

 

Marie, du bist in Luxemburg geboren, aber dann sofort in die Schweiz gezogen und dort aufgewachsen. Fühlst du dich mehr als Schweizerin?
Nein, interessanterweise überhaupt nicht. Ich bin in Düddelingen, in Luxemburg geboren und schon als ich ein Baby war, ist meine Familie in die Schweiz gezogen, erst nach Zürich und dann nach Basel. Heute bin ich Doppelbürgerin, aber ich fühle mich mehr als Luxemburgerin. Vielleicht kommt das daher, dass meine Eltern beide Luxemburger sind und meine ganze Familie hier lebt.

 

Also ist Luxemburgisch deine Muttersprache? Welche Sprachen sprichst du noch?
Ja, genau. Luxemburgisch ist die Sprache, die mir am leichtesten fällt, noch leichter als Deutsch. Ich spreche außerdem Schweizerdeutsch, Französisch und Englisch. Mit meiner Familie haben wir Luxemburgisch gesprochen, durch Freunde meiner Eltern habe ich das Deutsche ins Ohr bekommen und im Kindergarten habe ich Schweizerdeutsch gelernt. In der Schule musste man dann Hochdeutsch sprechen, wobei viele Schweizer eher ein schweizerisches Hochdeutsch sprechen.

 

Freust du dich, in Luxemburg spielen zu können?
Ja, klar! Ich bin viel zu wenig in der Heimat und habe viel Heimweh. Mir bleibt hier so wenig Zeit, dass ich versuche möglichst wenig zu schlafen, um alles aufzusaugen. (lacht) Wirklich, ich bin sehr glücklich, hier zu sein. Die Mentalität der Luxemburger ist eine besondere, vielleicht, weil es so ein kleines Land ist. Hier findet man eine andere Art der Vertrautheit, das ist sehr rührend und schön…

 

Wie bist du ursprünglich zum Schauspiel gekommen?
Normalerweise will man ja erst mal nicht das machen, was die Eltern machen. Mir als Tochter eines Schauspielers ging das genauso. Ich bin über Umwege dazu gekommen und zuerst als Au-Pair nach Frankreich gegangen. Zu diesem Zeitpunkt war es mein fester Plan, etwas mit Literatur und Sprache zu studieren, also Romanistik, Anglistik oder Germanistik. Als ich zurückkam, dachte ich aber: vielleicht könnte man ja doch so etwas wie Dramaturgie oder Theaterwissenschaften studieren… Unter diesem Vorzeichen habe ich mich dann erstmals bewusst in eine Probe meines Vaters gesetzt und das hat mir gut gefallen. Im Gespräch mit meiner Schwester und meiner Mutter habe ich dann gesagt: „Ich werde Schauspielerin“. Da war der Mund schneller als der Kopf, mir war nicht bewusst, was ich da sage.

 

Das war wie eine Art Wendepunkt für dich?
Genau, drei Monate später war ich auf der Schauspielschule in Wien. (lacht)

 

War der Einstieg ins Berufsleben nach der Schauspielschule schwer?
Ich hatte ziemlich viel Glück. Die Schauspielschule dauert vier Jahre lang und im Sommer zwischen dem dritten und vierten Jahr habe ich schon ein Engagement für die Sommerfestspiele in Bad Hersfeld gehabt. Da habe ich die Julia in „Romeo und Julia“ gespielt. Im vierten Jahr kam dann ein Angebot für einen Gastvertrag im Theater Basel, noch vor dem Vorsprechen bei Intendanten, wo man sich beschauen gehen lässt. (lacht) Ich habe das letzte Jahr Schauspielschule in Wien trotzdem noch fertig gemacht, die letzten Prüfungen eben über Distanz. Also ist es gut für mich gelaufen.

 

Du spielst nicht nur im Theater, sondern auch im Film. Lieber Theater oder lieber Film?
Das kann ich nicht so gut sagen. Es sind zwar nicht zwei völlig verschiedene Berufe, aber man arbeitet doch sehr anders. Jedenfalls ist man immer wieder glücklich, zwischen den beiden zu wechseln. Theaterspielen selbst ist eine Sache und der „Betrieb“ Theater eine andere, so wie in jedem anderen Beruf. Wenn man gerne Brötchen bäckt, ist das das eine, mit den Angestellten klarzukommen, ist das andere. Die backen vielleicht nicht deine Lieblingsbrötchen, sondern die, die sich besser verkaufen. Ich könnte nicht ohne Theater leben, aber wenn man aus dem betrieblichen Alltag kommt, ist man auch glücklich wieder in den Betrieb „Film“ zu kommen und umgekehrt. Das gibt frischen Input.

 

Heute Abend spielst Du die „Cordelia“ in „König Lear“. Gibt es dabei eine besondere Herausforderung?
Ja, die gibt es. Man sieht mich nur in der Eröffnungsszene und dann erst im zweiten Teil wieder, am Schluss des Stückes. Die Figur Cordelia ist den größten Teil der Zeit im Ausland und tritt nicht auf. Ich warte währenddessen hinter der Bühne und höre zu. Wenn ich dann wieder dran bin, ist es erst einmal eine Herausforderung, richtig in die Energie reinzukommen, die die anderen Schauspieler auf der Bühne kreiert haben. Das ist so, also ob man auf den fahrenden Zug springen müsste. Ich mache mir dieses Gefühl zu Nutze, um Cordelias eigene Überraschung darzustellen. Sie war die ganze Zeit in Frankreich und muss erst mal die Lage in England fassen.

 

Würdest du sagen, dass Cordelia ein „Vorbild“ sein könnte? Eine Frau, die zu ihren Idealen steht und insofern ehrlich zu sich ist?
Ich würde niemals eine Figur selbst als „Vorbild“ bezeichnen, aber ihre Werte sind etwas, was mir sehr naheliegt. Das bedeutet: man soll sich nicht verbiegen lassen, auch wenn der Weg mal ein bisschen steiniger ist. Sie hätte das Spiel ihres Vaters und den Liebestest ja auch mitspielen können, dann wäre Ruhe im Karton gewesen! Aber Cordelia reagiert anders. Es lohnt sich, Umwege zu nehmen, um sich treu zu bleiben. Das ist mein Lebensziel und ich hoffe, danach handeln zu können.

 

Sag uns, wieso gerade junge Leute sich dieses Stück ansehen sollten!
Es ist der Versuch einer modernen Erzählweise von Shakespeare, ohne Hypermodernismus. Wir versuchen, auf den Grund der Sprache zu gehen, um möglichst unmittelbar und dadurch berührend und betreffend zu erzählen. Deshalb lohnt es sich vor allem auch für junge Zuschauer zu kommen!

 

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