Lampedusa

Vom Bemühen um und Scheitern an gegenseitige(r) Anerkennung

Eine Insel zwische„Lampedusa“: Vom Bemühen um und Scheitern an gegenseitige(r) Anerkennungn Afrika und Europa; ein Ort, den Bootsflüchtlinge regelmäßig zu erreichen versuchen, und dessen Ortsbild von Auffanglagern geprägt wird. „Lampedusa“ wird für immer mehr Personen in Europa zu einer Konnotation und zu einem Sinnbild für den Umgang mit Flüchtlingen und für Integrationsdebatten. Themen, die Henning Mankell im gleichnamigen Stück (2006) in den Kontext einer Talkshow setzt.

Ein blau gehaltenes Studio mit Tisch, Sesseln und Sofa; ein Essenswagen, der seitlich platziert ist. Zwei Personen, die sich im Mittelpunkt des Geschehens befinden. Anna (Julia Malik) ist Fernsehmoderatorin einer Talk-Show und dabei auch für die Vorbereitung der Gesprächsteilnehmer/innen zuständig. Titania (Rahel Jankowski) ist Wissenschaftlerin und diesmal Gast in der Live-Sendung. Gemeinsam besprechen sie das Thema des Interviews, welches sich bereits als Herausforderung darstellt: Titania möchte weder über mögliche falsch interpretierte Stellen des Korans noch über ihre Familie sprechen, das Fernsehen ein Stück weit zur Selbstdarstellung nutzen. Anna erhofft sich durch die Schilderung der Unterdrückung muslimischer Frauen eine hohe Zuschauer/innen/-Quote. Für sie passt es nicht zusammen, dass Titania trotz hohem Bildungsabschluss, westlicher Kleidung und Selbstbewusstsein an ihrer Religion und deren Ritualen festhält…

Mit „Lampedusa“ zeichnet Mankell (im deutschsprachigen Raum vor allem durch die „Wallander“-Krimis bekannt) kein schwarz-weißes Bild, vielmehr sind die zahlreichen Graustufen Element: Titania floh im Alter von fünf Jahren mit ihrer Familie von Sambia nach Schweden. Davor hat die Familie Hausangestellte ausgenutzt und schlecht behandelt, Titania spricht z.B. davon, diese bespuckt zu haben. Anna wird von ihrem Kollegen, einem Meterologen (Christian Wimmer), nicht ganz ernst genommen und verpasst diesem eine Ohrfeige. Die Grenzen zwischen Opfern und Täter/inn/e/n sind in diesem Stück fließend.

Titania vermittelt auch keine klassisch, stereotypen Bilder einer unterdrückten, muslimischen Frau (Regie: Wolfang Hagemann): Sie wurde zwar von ihrem Vater geschlagen, hat den Kontakt zu ihm aber weitgehend reduziert. Ihr Job verschafft ihr ein hohes Einkommen und eine eigene Wohnung. Anna bemüht sich zwar zu differenzieren, z.B. bei dem Gesprächsthema Terrorismus, und Titanias Ansichten nachzuvollziehen, dennoch macht sie es sich häufig zu einfach: Das Nichttragen eines Kopftuches und kein Glaube werden etwa mit Fortschritt gleichgesetzt (Anna selbst ist Atheistin).

Titania scheint auf den ersten Blick die vernünftigere, emanzipiertere der beiden zu sein, wenn sie betont, dass die Unterdrückung der Frauen ein weltweites Problem, nicht primär eines des Islam sei, oder dass es in jeder Religion Terrorist/inn/en gebe. Auf den zweiten Blick ist auch Titania nicht vor Vorurteilen gefeilt, wenn sie beispielsweise meint, dass jedes Mädchen gerne in einer Fernsehsendung vorkomme.

In Bezug auf Europa finden in „Lampedusa“ vermehrte Scheidungen, Abtreibungen,…Eingang in Annas und Titanias Gespräch. Laut dem Beschreibungstext des Stückes produziert man als Zuseher/in selbst Vorurteile. Dem kann insofern zugestimmt werden, falls man Scheidungen eher bei Anna und bei Titania einen stärkeren Glauben vermutet hat, oder indem aufgrund der Kleidung Anna als Businessfrau angesehen wird etc. Dennoch werden auch im Stück selbst Vorurteile sowie Ausgrenzung und Angst gegenüber Fremden thematisiert. Die Figuren orientieren sich in ihren Gesprächen genauso an Stereotypen, wenn Anna meint, dass ihr Kollege ernster genommen werde, da er ein Mann sei, oder vereinzelt in ihrem Handeln, wenn es ausgerechnet der Mann ist, der nicht bei der Frau „landet“. Dass Titania homosexuell ist und deshalb Angst hat, angefeindet, gar mit dem Tod bedroht zu werden, kommt erst spät im Stück zum Vorschein. Dieser Aspekt wird -eventuell zu kurz- vermittelt, indem kurz Hintergründe eingebaut werden und Titania einen Stein ins Studio bringt, der von einer Steinigung stamme. Einen grauen Stein, der Blutspuren enthält, mit dem verletzt wurde und den man in den Weg legen kann. Ein schlichtes, jedoch ausdruckstarkes Symbolbild, das sich auch auf dem Plakat zum Stück wiederfindet.

Vom Grauen, Farblosen zur Monotonie, zu Dingen, die Personen lieber verbergen möchten, zu Bezeichnungen wie etwa „Rassist/in“, die sie als furchtbar empfinden und Scheinheiligkeit, wenn der Meterologe z.B. beschimpft wird und hinterher für die Sendung einspringen soll. Und doch schafft es Hagemann, dem gegenüber ein buntes Bild zu halten. Mit Figuren, die in Graustufen denken, deren Diskussionen neue Erkenntnisse für die Teilnehmenden und Nachdenklichkeit mit sich bringen; durch überraschende Momente, wenn der/die Zusehende nicht ahnt, dass sich noch jemand im Studio aufhält und diese Person dann plötzlich auftritt, und durch ein ebenso unvorhersehbares Ende.

Adäquat dazu sind die farbenfrohen Kostüme, die aus eleganter Hose und Bluse für Anna, sowie aus etwas legerer Kleidung für Titania, lila Strumpfhose und auffällige Ohrringe inklusive, bestehen (Kathelijne Schaaphok) sowie das Bühnenbild. Ein einfaches Studio, in welchem sich die Mitarbeitenden gegebenenfalls betrinken können, reicht für den Schlagabtausch aus (Anouk Schiltz). Ein Konzept, das an „Das Interview“ von van Gogh erinnert: Zwei unterschiedliche Charaktere liefern sich eine verbale Auseinandersetzung, ein Interviewtermin ist der Startpunkt für diese. In dem 2007 erstmals auf Deutsch aufgeführten Stück „Lampedusa“ bemühen sich die Charaktere hingegen mehr um gegenseitige Anerkennung und um Verständnis.

Schade ist, dass das auf die Rolle des Meterologen verglichen mit Anna und Titania weniger zutrifft und dass Titanias Homosexualität verglichen mit anderen Themen wenig Platz eingeräumt wird.

„Lampedusa“ ist eine Koproduktion des Kasemattentheaters mit dem Theater Esch. Die nächsten Aufführungstermine des schwedischen Stückes sind am 19. und 20. Mai 2015 um jeweils 20 Uhr im Kasemattentheater; 14, rue du Puits, 2355 Luxembourg. Weitere Vorstellungen finden im Oktober 2015 im Théâtre d`Esch statt.

 Karten können über ticket@kasemattentheater.lu oder (352) 291 281 reserviert werden.
Link zur Stückinformation: http://kasemattentheater.lu/play.php?id=10021429609301
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