Freispruch oder Verurteilung?

Ferdinand von Schirachs „Terror“ in Trier

Von GRRRRR-Redakteurin Katharina Klasen


Mord oder Heldentat? Schuldig oder nicht schuldig? Im Trierer Amtsgericht hatten die Premierenzuschauer von Ferdinand von Schirachs Theaterstück „Terror“ am 14. Oktober die Möglichkeit, als Schöffen über Verurteilung oder Freispruch der Kampfpilotin Laura Koch zu entscheiden, die ein von einem Terroristen entführtes Flugzeug samt 164 Passagieren vom Himmel schoss.

 

Trier. Spätestens seit dem großen ARD-TV-Ereignis am 17. Oktober 2016 ist das umstrittene Theaterstück „Terror“ des Strafverteidigers und Schriftstellers Ferdinand von Schirach in aller Munde, regt es doch hitzige Debatten über Recht und Unrecht, richtig und falsch, Schuld und Unschuld, Moral und Gerechtigkeit an. Bereits vor der Ausstrahlung der Verfilmung feierte das Gerichtsdrama am 14. Oktober vor ausverkauftem Haus seine Premiere in den Räumen des Trierer Amtsgerichts. Als Aufführungsort der Produktion der BürgerInnenSparte des Trierer Theaters wurde bewusst ein authentischer Sitzungssaal ausgewählt, in den die fiktive Handlung eingebettet wird. Vom Premierenpublikum erwartete das Stück eine gewisse Aktivität, denn die Zuschauer sollten am Ende der Gerichtsverhandlung als Schöffen, ehrenamtliche Richter, über das Schicksal der Angeklagten Laura Koch entscheiden und wurden zu Beginn vom Richter (Heinz-Georg Meyer) vereidigt, „nur der Wahrheit und Gerechtigkeit zu dienen“. Doch beginnen wir von vorne.

Laura Koch (34), Hauptmann der Luftwaffe, sitzt wegen „mehrfachen Mordes“ auf der Anklagebank. Die Eurofighter-Pilotin hatte gegen den ausdrücklichen Befehl ihrer Vorgesetzten ein Passagierflugzeug abgeschossen und dadurch alle 164 Insassen getötet. Allerdings tat sie dies, weil sich die Maschine in der Hand eines Terroristen befand, der im Namen Allahs Kurs auf die voll besetzte Münchener Allianz Arena mit 70.000 Personen nahm. Koch entschied eigenmächtig, die 70.000 Menschen in der Arena zu retten und die 164 Passagiere zu opfern. Im Sitzungssaal des Trierer Amtsgerichts wird nun über die moralische und rechtliche Schuld von Laura Koch verhandelt. Ist sie schuldig, weil sie den Befehl missachtete und 164 Unschuldige in den Tod riss? Oder ist sie unschuldig, weil sie zum Wohle der Mehrheit handelte und den 70.000 Menschen im Stadion durch ihr Eingriffen das Leben rettete?

Staatsanwaltschaft (Birgit Weinmann-Lutz) und Verteidigung (Karin Pütz) beleuchten den Tathergang aus unterschiedlichen Positionen heraus und geben den Zuschauern durch persönliche Ansprachen einigen Stoff zum Nachdenken an die Hand. So erinnert die Verteidigerin an den 11. September 2001 und geht auf das Luftsicherheitsgesetz von 2005 ein, das vom Bundesverfassungsgericht elf Monate später gekippt wurde mit der Begründung, Leben dürfe nicht gegen Leben abgewogen werden. Ja, die Staatsanwältin habe Recht, so die Verteidigerin, Laura Koch habe 164 Leben gegen 70.000 abgewogen. „Aber es war kein Mord!“ Die Pilotin habe in einer ausweglosen Situation den Mut und die Kraft gehabt zu handeln.

Der Zeuge Lauterbach, Leutnant der Bundeswehr, (gespielt von Michael Wilmes) schildert die akute Terrorgefahr und erläutert, wie die Bundeswehr im Falle eines „Renegade“ reagiert. Er gibt zu, dass alle Versuche, die Maschine zum Landen zu zwingen, scheiterten: „Wir hoffen auf ein Wunder. Es geschah nichts.“ Der Leutnant muss sich sehr unangenehme Fragen der Staatsanwaltschaft gefallen lassen; Fragen, die dem Publikum jedoch neue Einblicke und Denkanstöße ermöglichen und es bei seiner Urteils- und Meinungsbildung unterstützen. So gibt Lauterbach etwa zu, dass für die Bemannung der Eurofighter nur Personen ausgewählt werden, die im Ernstfall bereit sind zu schießen. Personen wie Laura Koch. Diese wird als nächste in den Zeugenstand gebeten, um ihre Aussage zu machen. Der Gesichtsausdruck der Kampfpilotin (Tanja Finnemann) ist hart, sie zeigt kaum Gefühlsregungen und spricht sachlich und beherrscht. Sie stehe zu ihrer Tat, „weil ich es für richtig gehalten habe!“ Sie hätte nicht 70.000 Menschen sterben lassen können. Dennoch wird im Laufe der Verhandlung deutlich: Koch hat gegen geltendes Recht verstoßen – wenn auch aus hehren Motiven.

Im Gerichtssaal entspinnt sich eine rege Diskussion über die Menschenwürde und den Wert eines jeden lebenden Individuums. Kann es moralisch richtig sein, wenige zu töten, um viele zu retten? Nach den eindringlichen Plädoyers von Staatsanwalt und Verteidigung liegt diese Entscheidung am Ende in den Händen der Trierer Premierengäste. Doch wie entscheiden sie sich? Woran machen sie ihr Urteil fest? An Gewissen, Moral und Vernunft? Oder an der Verfassung, Rechtsstaatlichkeit und Prinzipien?

Anders als in vielen anderen Theatern in Deutschland wurde die Angeklagte in Trier von 48 Schöffen wegen Mordes verurteilt, 39 votierten für einen Freispruch! (Zum Vergleich: Nach der TV-Ausstrahlung sah das deutschland- und österreichweite Votum so aus: 86,9 Prozent plädierten für einen Freispruch!) Weitere Besonderheiten der Trierer Inszenierung bestehen darin, dass die Rolle „Hauptmann der Luftwaffe“ erstmals von einer Frau gespielt wird und ausnahmslos alle Rollen mit Laienschauspielern besetzt wurden.

In angeregten Diskussionen nach diesem emotional aufwühlenden Theaterabend fallen unter anderem Begrifflichkeiten wie die „Wahl des kleineren Übels“, der „moralischen Verantwortung“ und der „Unantastbarkeit der Menschenwürde und der Verfassung“. Man kommt zu dem Gedanken, dass Laura Koch zwar rechtlich schuldig, moralisch aber unschuldig sei. Letzteres insbesondere deswegen, weil eine untragbare Bürde und Verantwortung ganz alleine auf ihren Schultern lastete. Und so ist einmal mehr klar, dass die Grenze zwischen Recht und Unrecht, richtig und falsch, Schuld und Unschuld, Moral und Gerechtigkeit nicht immer klar zu ziehen ist.

Spannend wird es für Regisseur Karl M. Sibelius und sein Kreativteam sicherlich sein, die Ausgänge der folgenden Vorstellungen von „Terror“ auszuwerten. Denn ob Laura Koch eine Verurteilung oder einen Freispruch zu erwarten hat, kann von Aufführung zu Aufführung aufgrund unterschiedlichster Faktoren – etwa der soziodemografischen Zusammensetzung des Publikums – variieren. Und somit bleibt das Ende des Gerichtsdramas stets offen und kann jeden Abend mit Spannung erwartet werden. Nachdenklich stimmende Gespräche im Anschluss sind garantiert.

 

Fotos: Theater Trier

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