Viva la vie bohème – „Rent“ im Theater Trier

Am Silvesterabend 2015 feierte das Musical „Rent“ aus der Feder des 1996 verstorbenen Komponisten und Autors Jonathan Larson seine Premiere im Theater Trier. Doch nach nur vier Aufführungsterminen musste die Inszenierung von Regisseur Malte C. Lachmann aus urheberrechtlichen Gründen geändert werden. Unsere Redakteurin Katharina Klasen hat sich am 8. Januar die „neue” Fassung angeschaut – und war hellauf begeistert.

Trier. Im New York der 90er Jahre, am Ende des Millenniums, hat Jonathan Larson sein Musical, das auf Puccinis Oper „La Bohème“ basiert, angesiedelt. Im Mittelpunkt von „Rent“ stehen das Leben, die Leiden, Ängste, Träume und Hoffnungen der jungen Künstler Mark und Roger, die in einem Loft im East Village leben, aber die Miete (engl. Rent) nicht mehr zahlen können. Neben wirtschaftlicher Mittellosigkeit (und damit einhergehend dem Nichtbegleichenkönnen von Miete, Strom und Heizung), emotionalen Tiefpunkten (Liebeskummer und Eifersucht) und künstlerischen Schaffenskrisen (Songwriter Roger möchte DEN einen Song schreiben, Dokumentarfilmer Mark SEINEN Film drehen) haben die Mitbewohner und ihr Freundeskreis mit sehr existentiellen Problemen zu kämpfen: mit Armut, Drogenkonsum und AIDS. Auch das Thema Homosexualität und die Auflehnung gegen gesellschaftliche Konventionen spielen in „Rent“ eine wichtige Rolle.

Autor und Komponist Jonathan Larson, der tragischerweise am Tag der Uraufführung in New York 1996 an einem Aortenaneurysma starb, hat ein Meisterwerk mit einer mitreißenden Handlung und fantastischer Musik geschaffen. Die Songs, die u. a. Elemente aus Pop, Hardrock  und Soul beinhalten, bleiben im Ohr, die Schicksale der Protagonisten berühren. Ob Mark, Roger, Collins, Angel, Mimi, Joanne oder Maureen – „Rent“ wartet mit liebenswerten und vielschichtigen Charakteren auf. Musicaldarsteller Matthias Stockinger gelingt es zudem, auch dem „Mieteintreiber“ Benny sympathische Züge zu verleihen: Er ist nicht der gewissenlose Verräter und „Yuppie Scum“, als den seine früheren Mitbewohner ihn bezeichnen, sondern ebenso wie sie ein Idealist, der jedoch auf anderem Wege versucht, das Richtige zu tun und das einstige gemeinsame Ziel zu erreichen.

Vor dem 8. Januar, also in insgesamt 4 Vorstellungen, existierte in der Trierer Inszenierung übrigens eine zusätzliche Rolle, die es im Original nicht gibt. Denn Regisseur Malte C. Lachmann hatte für Trier eine neue Rolle samt Rahmenhandlung geschaffen: die der „Joanne heute“, die gealtert auf die Geschehnisse Ende der 90er Jahre zurückblickt. Die großartige Carin Filipcic, die bereits als Mrs. Lovett in „Sweeney Todd“ im Theater Trier brillierte, war für diese Rolle vorgesehen. Der Verlag „Musik und Bühne” sah in dem Hinzufügen der Rolle jedoch einen zu großen (und nicht abgesprochenen) Eingriff in das Stück und hielt das Theater dazu an, fortan die Originalversion zu spielen. Diese wurde dann am Abend des 8. Januar in Trier erstmals auf die Bühne gebracht. Ohne Carin Filipcic als „Joanne heute“. Anstelle von ihr führte nun wie üblich der Filmemacher Mark durch die Handlung. Christopher Ryan füllte diese Rolle wunderbar mit Leben, so dass es eine wahre Freude war, ihm zuzusehen und zuzuhören. Dass sie am Vorabend noch eine andere Version des Stückes gespielt hatten, merkte man den Darstellern nicht an. Die plötzliche Streichung der Rolle „Joanne heute“ tat der hohen Qualität des Stückes keinen Abbruch. Die Handlung war dynamisch, die Übergänge zwischen den Szenen waren fließend, die musikalischen Leistungen ein Genuss.

Und obwohl die ganze Trierer Inszenierung in sich sehr stimmig und mitreißend ist, gab es klare Höhepunkte, die das hohe Niveau der Aufführung noch einmal deutlich unterstrichen: etwa Mimis Auftritt im Cat Scratch Club. Erotisch und sehr sinnlich räkelte sich Sybille Lambrich als Tänzerin Mimi an der Poledance-Stange, um schließlich kopfüber hängend aus voller Kehle „Out tonight“ zu schmettern. Atemberaubend! Ein weiteres Highlight: der „Tango: Maureen“. Christopher Ryan und Kathrin Hanak harmonierten als Mark und Joanne perfekt miteinander und legten eine eindrucksvolle Sohle aufs Parkett – innerlich zerrissen von ihrer Zuneigung zur bisexuellen Performancekünstlerin Maureen (Sidonie Smith). Auch die Chemie zwischen Mimi und Roger (Sasha Di Capri) stimmte; die beiden überzeugten als tragisches Liebespaar: Sie, die jeden Tag ihres Lebens lebt, als wäre es ihr letzter – er, der sich nach dem Selbstmord seiner Ex-Freundin nicht mehr aus dem Haus traut und sich vor der Welt versteckt.

Manuel Dengler als Drag Queen Angel konnte leider nicht vollends überzeugen. Während die aufgedrehte, nahezu hyperaktiv anmutende Performance des an AIDS erkrankten Transvestiten bei „Today 4 U“ absolut angemessen war, wirkte sie hingegen beim (eigentlich) romantischen Duett „I’ll coyer you“ over the top. Natürlich ist Angel schrill, extrovertiert und lebensfroh, doch Denglers Angel wirkte einen Tick zu aufgesetzt und somit unauthentisch – mit der traurigen Konsequenz, dass man ihm sein Liebesgeständnis Collins (Norman Stehr) gegenüber nicht abkaufen konnte. Es wirkte nicht aufrichtig. Beklemmend und zutiefst traurig war im Gegensatz dazu Angels Beerdigung. Es ist erstaunlich, mit wie wenig Mitteln eine solch ergreifende Szene arrangiert werden kann. Ebenso intensiv bleibt der Kanon „Will I?”, der von den Mitgliedern des Life-Supports gesungen wird, in Erinnerung. Ein wahrer Gänsehaut-Moment.

Das Publikum belohnte das Ensemble sodann auch mit langanhaltendem Applaus und stehenden Ovationen. Es war eine großartige Vorstellung, die Lust auf mehr machte. Wie schade, dass insgesamt nur zehn Aufführungen des Musicals in Trier angesetzt sind. Eine Wiederaufnahme wäre sehr wünschenswert!

Von GRRRRR-Redakteurin Katharina Klasen

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