Was geht hier eigentlich vor?!*

Émile Zolas Roman „Das Geld“ aus dem Jahre 1891 wird im Saarländischen Staatstheater in Saarbrücken zum Aushängeschild des Spielzeitmottos „Ich – Ich – Ich“. Dagmar Schlingmanns Inszenierung spiegelt darin Werte wider, die unsere heutige Gesellschaft auszumachen scheinen: krankhafter Egoismus, geheuchelte Menschlichkeit, intrigante (Macht-)Spiele. Und niemand im Saal weiß wirklich, wie ihm geschieht.

 Eine weiße Schrägwand, die an eine Riesenrutsche erinnert, erhebt sich imposant über die gesamte Bühne. Kalt glänzende Stahlgeländer in Form von Aktienkursen, gebohrte Löcher und montierte Griffe laden förmlich zum Hinaufklettern ein. Türen im Boden, die in den Abgrund führen, sowie in der Wand, die – wie bei einem Adventskalender – Überraschungen bergen. Ein großer Spielplatz, so wird schnell klar, erstreckt sich hier. Höhen und Tiefen, im Keller sein oder mal ganz oben stehen – das Bühnenbild von Sabine Mader spricht optisch eindeutig die Sprache der Börse. Das Spiel kann beginnen…

 Und gespielt wird mit allem: Wertpapieren, Eisenbahnplänen, Frauenherzen, dem eigenen Verstand und dem Hab und Gut der Investoren. Saccard (Georg Mitterstieler), die schillernde Hauptfigur des Stücks, liebt und lebt dieses spekulative Abenteuer. Trotz vorhergegangener Verluste lässt er sich abermals auf das Spiel ein und gründet die „Banque Universelle“. Dafür braucht er finanzielle Unterstützer. Doch der charismatische Zahlenkünstler weiß sich und seine Aktien zu verkaufen. Mittels gesteuerter Presse, gefälschten Bilanzen und falschen Versprechungen zieht er Investoren an Land, die mit ihm den waghalsigen Aufstieg an der Pariser Börse feiern. Saccard wird in den Strudel des Geldes, der Macht und der Frauen gezogen. Er lebt wie ein König, wird von allen verehrt. Dass das nicht lange gutgehen kann, liegt auf der Hand. Doch die Gefahr, die von einem Crash und seinem Gegenspieler Gundermann (Klaus Meininger) ausgeht, blendet er bis zuletzt aus: „Ich will den Kurs von 3000!“.

 Dass Aufstieg und Fall nahe beieinander liegen, bekommen die Darsteller am eigenen Leib zu spüren. Mit extrem viel Körpereinsatz klettern sie die „Börsenwand“ hinauf, rutschen immer wieder ab, laufen auf der Stelle, rückwärts oder auf den Knien und wälzen sich in den herumflatternden Wertpapieren. Wie im Rausch, einem bizarren Traum, gehen sie miteinander und mit ihren eigenen Körpern um. Gesteuert durch die Macht des Geldes und ihre unstillbare Habgier entfernen sie sich auf ihrem selbstzerstörerischen Trip von Empathie und Einsicht.

Intendantin und Regisseurin Dagmar Schlingmann und Chefdramaturgin Ursula Thinnes haben Zolas Roman in eine Theaterfassung gebracht, die das 19. Jahrhundert dem unsrigen gegenüberstellt. Modernes Bühnenbild, altmodische Kostüme. Doch eines haben beide Zeiten gemeinsam: Das, was Geld aus den Menschen macht, kann man heute genauso beobachten, wie vor knapp 150 Jahren. „Gier frisst Hirn“, so beschreiben Wertpapierexperten das Schlachtfeld der Börse. Jeder kämpft um alles und für sich allein. Schlingmanns Vision eines berauschenden Ego-Festes kommt rüber – obwohl alle Charaktere der elf Darsteller eindimensional bleiben. Reflexion setzt bei ihnen nur kurzweilig ein und verpufft sofort wieder angesichts der Aussicht auf schnellen Reichtum. Nur der Sozialist in der Fallgrube bleibt seiner Abneigung dem Geld gegenüber treu.

 Verunsichert betrachtet der Zuschauer diese ekstatische Welt. Kann wirklich jeder Mensch wie Zolas Figuren werden? Die Einfühlung fällt schwer, die Distanz bleibt zu groß – was auch durchaus gewollt ist. Schlingmann sät unzählige Momente der Verfremdung. Durch maschinenhafte oder verlangsamte Bewegung, verzerrte, überbetonte oder sich überschneidende Sprache sowie durch Kommentare und Erklärungen via Anzeigetafel verleiht sie der Handlung eine undurchschaubare und alptraumhafte Note.

 Das kommt beim Publikum sehr unterschiedlich an. Zur Pause verlassen einige Besucher das Theater, finden das Schauspiel zu überspitzt. Andere begrüßen die gewählte Darstellungsform mit Applaus: „Daran kann man sehen, wie es um unsere Gesellschaft steht. Immer höher, immer weiter“, kommentiert eine Besucherin. Am Ende bleibt die Botschaft: Die Welt der Geldgeschäfte ist uneinsichtig und ein Ort für Einzelkämpfer. Schlingmanns Inszenierung stellt dabei einen berauschten Ausflug in ein Extrem dar, das auch als solches aufgefasst werden darf.

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