Wenn der Tod an die Tür klopft

Sterben müssen wir alle irgendwann, und jeder von uns hat eine andere Art, damit umzugehen. Auch im Theaterstück „Abendschau“ des 2007 verstorbenen ungarischen Schriftstellers, Schauspielers und Regisseurs George Tabori spielt der Tod eine tragende Rolle – und wechselt mehrfach seine Erscheinungsform.

Saarbrücken. Fridolins Glanzzeiten als Entertainer auf den Showbühnen Amerikas sind vorbei. Nun sitzt der hypochondrisch veranlagte Ehemann und Familienvater zu Hause am Küchentisch und sinniert darüber, ein Stück über das „abendfüllende Nichts“ zu schreiben. Dabei trifft er auf die halbherzige Unterstützung seiner Ehefrau Amanda: „Das ist das beste Nichts, das ich je gehört habe.“ Die Ehe von Fridolin und Amanda steht unter keinem guten Stern. Auch sie ist – wie so vieles andere in George Taboris Theaterstück „Abendschau“ – im Begriff zu sterben. Es gibt keinen liebevollen Umgang, keine Zärtlichkeit zwischen den beiden, stattdessen Stille – das Nichts. „Ich habe dich mal geliebt – in den 60ern“, erinnert sich Fridolin.

Derweil hat Sohnemann Billy ganz andere Interessen. Zum Leidwesen seiner Eltern sammelt er Tiere, die er immer wieder mit nach Hause bringt. Was er jedoch dieses Mal mitgebracht hat, ist nichts Geringeres als der Tod persönlich: ein alter Mann im Klempneroverall. Die Versuche der Eltern, dem Sensenmann den Zutritt zum Eigenheim zu verwehren, scheitern. Stattdessen legt dieser einen Striptease auf dem Küchentisch hin.

Taboris „Abendschau“ ist eine Groteske über den Tod. Das Stück, eine Koproduktion mit dem Théâtre National du Luxembourg, erlebte 2012 seine Uraufführung bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen. Die damalige Premierenbesetzung wartet auch im Saarbrücker Theater Alte Feuerwache auf: Wolfram Koch gibt den abgehalfterten Familienvater und Entertainer Fridolin, dessen letztes Stündlein geschlagen hat. An seiner Seite (oder meist auch nicht) die wunderbare Jacqueline Macaulay als Gattin Amanda, die das eigene Altern nicht akzeptieren will und zu Stückbeginn hoffnungsvoll fragt: „Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?“ Den Gefallen des Selbstbetrugs tut ihr der sprechende und dreibeinige Hund der Familie (fantastisch gespielt von Ulrich Kuhlmann, mit Nackenkrause, Socken über den Händen und Stummelschwänzchen). Und dann wäre da noch Luc Feit als Billy, der schauspielerisch zwar eine gute Leistung abliefert, dem man den Pennäler jedoch schon allein aufgrund der Optik nicht abkauft.

Regisseur Frank Hoffmann zeigt, wie die Familienmitglieder auf die Anwesenheit des Todes reagieren. Verzweifelt bietet Fridolin dem nach dem Striptease nackten Alten all seine Kleidungsstücke, gar sein letztes Hemd an, um ihn zum Gehen zu bewegen – vergeblich, dieser okkupiert zeitungslesend die Küche. Sein Besuch hat Folgen: Bei Fridolin wird ein Tumor festgestellt. Denn, so die Diagnose, „auch Hypochonder sterben“.

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Im Stückverlauf wechselt der Tod mehrmals seine Erscheinungsform. Ob als Dr. Liptauer, Hollywood-Tycoon J. J. Goldwhine, Sängerin Gloria oder Cookiemonster – er rückt der Familie gehörig auf die Pelle, und dies gleich doppelt. Denn mit Christiane Rausch und Roger Seimetz ist der Tod gleich zweifach prominent besetzt.
Mit Dr. Liptauer führt Fridolin einen Dialog über das Sterben. „Heutzutage sterben Leute, die früher nicht gestorben sind. […] Ich habe kein Vertrauen zu Ärzten, die sterben.“ Dumm nur, dass Dr. Liptauer auch nicht ganz gesund ist, unter anderem scheinen ihn Blähungen zu plagen. Trotz allem schauen sich Arzt und Patient gemeinsam Röntgenbilder an, ganz so, als würden sie Urlaubsfotos austauschen, mit vielen bewundernden Ahs und Ohs. Dann nimmt Fridolin Reißaus, springt dem Tod fürs Erste von der Schippe. „Auf Wiedersehen!“ Über diesen müden Versuch kann der Tod nur böse lächeln. „Gewiss doch.“

Da Fridolin den Sensenmann nicht ignorieren kann, beginnt er – ganz Komiker – geschmacklose Witze über den Tod und ältere Ehepaare zu reißen. Dabei schleudert er unkontrolliert Konfetti durch die Luft. Wie bereits erwähnt, ist seine Karriere als Alleinunterhalter längst vorbei, dennoch erhält er noch einen letzten (absurden) Preis: den für den besten Tumor des Jahres.

Trotz der großartigen Schauspieler ist Hoffmanns Inszenierung weder wirklich komisch, noch berührend oder tragisch. Die Handlung plätschert vor sich hin. Vergebens sucht der Zuschauer nach einem roten Faden, dem er folgen kann. Zwischendurch stirbt der Hund (oder auch nicht) und Sohn Billy schießt sich mit einer Pistole ein Auge aus – und lebt ebenfalls weiter. Beide scheinen nicht auf der Liste des Todes zu stehen. Am Ende stürzt die ganze Kulisse (ein Gebirge aus Koffern – symbolisiert es die Lasten des Lebens oder die des Sterbens?) in sich zusammen und Fridolin kreischt: „Lasst mich gehen!“ Das Licht geht aus, die Bühne versinkt in Dunkelheit. Zögern im Zuschauerraum. Ist das das Ende?

George Tabori selbst hat die Uraufführung seines Stückes am 2. Juni 2012 nicht mehr miterlebt. Er verstarb 2007 im Alter von 93 Jahren. Bereits 1979 wollte er „Abendschau“ – hochkarätig mit Hanna Schygulla besetzt – auf die Bühne bringen. Nach dem Unfalltod eines beteiligten Schauspielers wurden die Proben abgebrochen, die Unterlagen verschwanden in Taboris Archiven – bis Frank Hoffmann sie 2012 wieder zu Tage förderte.

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