Wo Familienzwist der Liebe Ende bedeutet

Von GRRRRR-Redakteurin Katharina Klasen

Die Geschichte von Romeo und Julia ist alt wie die Welt und dürfte – zumindest in ihren Grundzügen – hinlänglich bekannt sein. Regisseur Daniel Pfluger bringt die Tragödie als moderne und düstere Inszenierung auf die Bühne des Saarländischen Staatstheaters.

Saarbrücken. Kaum hat man als Gast den Zuschauerraum des Großen Hauses betreten, wird man auch schon auf das Ende der tragischen Liebesgeschichte des wohl bekanntesten Liebespaares der Literatur hingewiesen: „Romeo und Julia sind tot“ prangt als überdimensionaler Schriftzug in der ansonsten enttäuschend kargen Kulisse. Romeo und Julia, das sind die Erben der beiden einflussreichen und verfeindeten Adelshäuer Veronas: der Montagues und der Capulets. Im Saarländischen Staatstheater brilliert Vanessa Czapla in der Rolle der dreizehnjährigen Julia. Ihr Spiel ist fantastisch. Zudem gelingt es ihr eindrucksvoll, Julias Wandlung vom verliebten Mädchen zur alles entschlossenen und sich emanzipierenden Frau glaubhaft zu zeichnen. Neben ihr verblasst Robert Prinzler etwas, der jedoch durchaus als Romeo zu überzeugen vermag.

In Sachen Bühnenbild hat die Saarbrücker Inszenierung wenig zu bieten und bleibt bedauerlicherweise weit hinter ihren Möglichkeiten zurück. Ein wahres Fest fürs Auge sind hingegen die Degenspektakel, die von den Mitgliedern der verfeindeten Clans (allen voran durch Mercutio und Tybalt) ausgefochten werden. Die durchchoreografierten Kämpfe sind präzise, laut und sehr dynamisch. Insbesondere an Tybalts Blutdurst und Mordgier (herausragend irre und ausdrucksstark gespielt von Cino Djavid) zeigt sich, dass der ursprüngliche Zwist zwischen den Capulets und den Montagues längst keine Rolle mehr spielt, stattdessen geht es den jungen Edelmännern (die sich doch gerade noch auf der Stufe zwischen Junge-sein und Mann-werden befinden) um die Befriedigung ihrer Triebe und die Auslebung ihrer überschüssigen Energie. Duelle gehören für sie zum Alltag, sind ein beliebter Zeitvertreib. So steht Mercutio (herrlich exzentrisch und wie gewohnt grandios: Roman Konieczny) und Tybalt der Wahnsinn ins Gesicht geschrieben. Beide sind streitlustig und dürsten nach Blutvergießen. Letztlich ist es ihr Blut, das auf den Straßen Veronas zurückbleibt.

Doch noch weitere Charaktere müssen bis zum großen Finale ihr Leben lassen. Höchst dramatisch und effektvoll inszeniert Pfluger den Selbstmord der Amme  (Christiane Motter). Hier darf dann auch endlich einmal die Bühnentechnik zeigen, was sie drauf hat und Podeste nach oben und unten bewegen, was – ungelogen – für den Zuschauer eine eindrucksvolle optische Illusion schafft. (Ein Aha-Effekt.) Die Band um Clemens Rynkowski, die während des gesamten Stückes im Hintergrund auf der Drehbühne agiert, setzt stets musikalische Akzente, um die angespannte Atmosphäre ihrem Höhepunkt zuzutreiben.

Als ambivalenter Patriarch tritt Christian Higer als Julias Vater in Erscheinung: Bittet er im ersten Akt um eine Aufschiebung der Brautwerdung seines geliebten Töchterleins, wird er im zweiten Akt zum Frauen verprügelnden Ungeheuer: Weder Amme noch Tochter oder Gattin (Yevgenia Korolov) können seinem Wut- und Gewaltausbruch entgehen. So spiegelt sich auch im Verhalten Capulets die in der Gesellschaft vorherrschende allgemeine Grundstimmung der Aggressivität und Gereiztheit wider. Dieser versucht Pater Lorenzo wieder Herr zu werden. Georg Mitterstieler mimt einen sympathischen, hilfsbereiten und doch innerlich zerrissenen Kirchenmann, der besonders am tragischen Ende des Stückes auf das Mitgefühl des Publikums hoffen kann. Hat er doch – freilich unwissend –  zur Selbsttötung der beiden Liebenden einen nicht unwesentlichen Beitrag geleistet. Und das, obwohl er doch stets nur die besten Absichten hegte: das Wohl des jungen Paares und die Herbeiführung der Versöhnung zwischen den seit Unzeiten verfeindeten hoch angesehenen Familien Veronas.

Offen bleibt allerdings die Frage nach dem Sinn und der Notwendigkeit der Nacktszene, da man damit heutzutage weder schocken noch provozieren kann. Bei vielen Theatergästen traf diese fleischliche Zurschaustellung jedenfalls auf wenig Gegenliebe. Leicht genervt verließ man das Große Haus mit dem Gedanken „Musste das sein?“ Nein, die Inszenierung hätte auch ohne Nudität gut funktioniert.

Fotograf: Björn Hickmann

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