„In Zeiten des abnehmenden Lichts“

- Vom Ende der DDR

Von GRRRRR-Redakteurin Katharina Klasen


Vier Generationen, acht Familienmitglieder, ein Zeitraum von 49 Jahren, ein 90. Geburtstag, der im Desaster endet. In seinem Debutroman „In Zeiten des abnehmendes Lichts“ zeigt Autor Eugen Ruge anhand einer Familiengeschichte ein Panorama deutscher Geschichte auf: von den Anfängen der DDR, über ihren Niedergang bis ins Jahr 2001.

 

Saarbrücken. Wir schreiben das Jahr 2001. Kurt Umnitzer (Klaus Müller-Beck), einst einer der bedeutendsten Historiker der DDR, ein „großer Erzähler, dem immer alle an den Lippen hingen“, ist zum Pflegefall geworden und muss sich von seinem erwachsenen Sohn Alexander füttern lassen. „Nichts kannst du mehr!“ macht dieser seinem Vater wütend-verzweifelt zum Vorwurf. Gerade Alexander, dem doch vom Großvater Wilhelm immer attestiert wurde, er sei ein Versager und kriege nichts auf die Reihe. Und so ist Alexander auch mit der geistigen Umnachtung seines Vaters vollkommen überfordert. Klaus Müller-Beck spielt den dement gewordenen Intellektuellen mit glaubhafter Tragik und Präzision.

Doch nicht nur Alexander und Kurt führen keine harmonische Beziehung. Dass die Ehe von Charlotte und Wilhelm Powileit, Kurts Eltern, unter keinem guten Stern steht, wird bereits im Jahr 1952 deutlich. Vor den Nazis ins mexikanische Exil geflohen, warten beide auf ihre Chance, in die neu gegründete Deutsche Demokratische Republik einzureisen, um der Kommunistischen Partei die Treue zu halten. Denn „die Partei hat immer Recht“, davon ist Wilhelm (Christian Higer als sturköpfiger Unsympath) überzeugt. Auch Charlotte glaubt an die Idee des Kommunismus. In der DDR wird sie zur Institutsleiterin der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaften ernannt. Von ihrem selbstgerechten und egozentrischen Gatten erfährt sie dafür jedoch keine Anerkennung. Folglich verwundert es nicht, dass fast immer eine abgrundtiefe Verachtung in ihrer Stimme mitschwingt, wenn sie mit Wilhelm spricht. Saskia Petzold gelingt es meisterhaft, die verletzlichen und (nach außen hin) forschen Seiten Charlottes widerzuspiegeln. Aber nicht nur zu Wilhelm hat Charlotte ein schwieriges Verhältnis, ebenso zu ihrem Sohn Kurt und dessen russischer Frau Irina (Nina Schopka). Beim 1976 stattfindenden Weihnachtsritual, auf dessen Einhaltung Irina penibel besteht, treten die Aversionen und Neider innerhalb der Familie offen zutage. Der 90. Geburtstag von Wilhelm im Jahr 1989 gerät zum Fiasko – nicht nur wegen der „Vorkommnisse in Ungarn, Polen und Prag“, von denen bloß nicht gesprochen werden darf; der senile Wilhelm befürchtet zudem, vergiftet zu werden.

Parallel zum Aufstieg und Niedergang der DDR erzählt Autor Eugen Ruge die tragikomische Geschichte einer Familie, die ebenfalls vom Zerfall betroffen ist. Auch weil sich deren Mitglieder mehr oder weniger mit dem totalitären Regime identifizieren. Das schauspielerische Niveau des Ensembles, das in der Alten Feuerwache auf der Bühne steht, ist hoch. Eine der sympathischsten Figuren von Christopher Haningers Inszenierung ist zweifelsohne das Hausmädchen Lisbeth, das von Heiner Take köstlich naiv dargestellt wird. Ebenso dürften die Zuschauer Nadjeshda Iwanowna, Alexanders aus dem Ural stammende Großmutter, ins Herz geschlossen haben. Gertrud Kohl spielt die 1911 geborene Russin mit einer bestechenden Liebenswürdigkeit. Die vierte Generation verkörpert Robert Prinzler als Alexanders Sohn Markus, der jedoch als Opfer der familiären und gesellschaftlichen Umstände kein Sympathieträger ist, sondern sich nach der Wiedervereinigung dem Drogenrausch hingibt.

Alexander begibt sich 2001 indes auf der Suche nach Erkenntnis und sich selbst auf die Spuren seiner Vorfahren in Mexiko. Als er ausgeraubt wird, sinniert er: „Ich bin mein Leben lang betrogen worden.“ Georg Mitterstielers Spiel ist minimalistisch. Sein Alexander wirkt meist stoisch, apathisch, gelangweilt. Teilnahmslos ziehen der Lauf der Geschichte und die familiären Animositäten und Konkurrenzkämpfe an ihm vorüber. Die Tragik seines Seins offenbart sich in seinem Monolog: „Ich habe mein Leben lang das Gefühl gehabt, nicht dazuzugehören. Und obwohl ich mein Leben lang gern irgendwo dazugehört hätte, habe ich das, dem ich hätte zugehören wollen, niemals gefunden.“

Seine Großeltern und Eltern hingegen fühlten sich der DDR verbunden. Besonders Irina kommt mit deren Untergang nicht zurecht. Geplagt von Existenzängsten beginnt sie mit dem Trinken. Der Traum von der kommunistischen Utopie ist ausgeträumt. Das strahlende Licht der Zuversicht, das die Anhänger des DDR-Regimes einst antrieb, hat abgenommen.

 

Fotos: Saarländisches Staatstheater

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