Mehr wortwörtliche Bewegung als metaphorische

Robyn Orlins (Tanz-)Stück im Grand Théatre de Luxembourg

Eine dezent schimmernde Leuchte auf schwarzer Bühne, bunte Schüsseln, ebenso farbenfrohe Kostüme, klappernde Flip Flops und Geräusche, die man mit Tieren eines Bauernhofes assoziiert. Acht Tänzer, die genauso wenig Halt vor Musik und Geräuschen, vor allem aber keinen vor dem Publikum machen. Das Stück „At the same time we were pointing a finger at you, we realized we were pointing three at ourselves“ bietet erfrischend ungewöhnliche Ideen, aber keine neue Wertung von Vorurteilen.

Während der Beginn durch sich wiederholende Bewegungen und Geräusche, die nur bedingt zum Dargestellten passen, langwierig ist; kommt das Hauptthema des Körpers im Laufe des Werkes deutlicher zur Geltung: Dieser wird durch Kleidung, Medienauftritte oder Selfies inszeniert. Gleichzeitig ist der Körper Angriffsfläche für Gewalt (wird kurz durch Schläge auf die Schüsseln, während sich ein Tänzer darunter befindet, angesprochen), Krankheiten oder Rassismus und Sexismus. „Ein kleines Ritual“ (Orlin) ist nicht nur die gesamte Performance, sondern auch der Körper(kult) selbst: Blicke in den Spiegel etc. haben Symbolcharakter, man fotografiert sich nach Ankündigung beim Publikum feierlich selbst.

Daran angelehnt sind Festlichkeiten, die an Rituale erinnern lassen, adäquat auf der Bühne. Tradition und Moderne vermischen sich: Afrikanischer, älterer Gesang und Trommeln treffen auf Glitzer (Kostüme: Birgit Neppl), wackelnde Hinterteile und Smartphones zur Aufnahme der Szene(n). Das sorgt zwar einerseits für Gelächter beim Publikum; andererseits ist man bei vielen Szenen unsicher, ob es angebracht ist, zu lachen oder ob dies als Nichtakzeptanz von Traditionen gewertet wird. Gesungen wird mit ernster Miene, die Körperbewegungen gehen hingegen mehr ins Slapstick- Humoristische. Auch die Aufforderung der Tänzer, sich nicht über sie lustig zu machen, wird weder ernsthaft noch ironisch hervorgebracht.

Anhaltspunkte sind also schwer zu finden. Genauso geht es einem mit Übergängen und dem roten Faden. Wann und warum wurde ein Mensch zum Löwen, wann ein anderer zu dessen Frau? Ist der Körper hier tatsächlich noch Überthema? Wieso steht gegen Ende hin plötzlich die Musik mehr im Vordergrund?

Genau diese ist es dann, die das Publikum mitreißt. Es wird im Takt geklatscht und selbst getrommeltÜberhaupt ist „At the same time we were pointing a finger at you, we realized we were pointing three at ourselves“ mehr eine Performance mit verschiedenen Elementen, die dem Tanz nicht den Großteil des Platzes einräumt, wie der Ankündigungstext auf der Webseite des Grande théâtres vielleicht vermuten lässt.

Vorgefertigte Meinungen aus Medien etc. werden zwar, wie in der Stückbeschreibung genannt, evaluiert, aber keiner neuen Wertung unterzogen: Subtil kommt die nachgesagte hohe Kinderanzahl afrikanischer Staaten durch den Text eines der traditionellen Lieder zum Vorschein. Dieser beinhaltet eine Zeile, die beschreibt, dass es hart sei, keine Kinder zu haben.
Des Weiteren sind auch Farbenfroheit, fröhliches Feiern; ausgelassenes, verglichen mit Europäer/inne/n weniger steifes und an Regeln gebundenes, Tanzen, keine neuen Vorurteile und bilden den positiven Kontrast zu Hunger etc.

Letzterer wird in einem der Videos (Aldo Lee) erwähnt. Die Kombination dieser mit anderen Medien und die Miteinbeziehung des Publikums sind es, die dem Stück dennoch eine erfrischende und ungewöhnliche Komponente hinzufügen, Begeisterung bei den Zusehenden inklusive.

Donnergrummeln im Saal, aufleuchtendes Licht (Lais Foulc); Tänzer, die sich verstecken, bevorzugt im Publikum. Gelächter, wenn dieses gefragt wird, ob denn jemand Choreograf sei; im Hintergrund eine von mehreren eingeblendeten Textnachrichten der Choreografin. Der Inhalt: Das Stück werde erst besser im Laufe des Abends.

Französische Übersetzungen, die jeweils an der richtigen Stelle einsetzen (Maurice Salem) und wiederum die Form von Kurznachrichten haben; eingespielte Videoaufnahmen, die zeitgleich im Saal gefilmt werden, speziell mit Einbindungen des Publikums. Dieses wird etwa gefragt, ob es einen bestimmten Tanz kenne oder dazu aufgefordert, zu fotografieren und filmen. Dass dies untypisch und sonst nicht gestattet ist, wird verglichen mit der Durchsage vor Beginn des Stückes noch einmal ins Gedächtnis gerufen, wobei diese bei „At the same time we were pointing a finger at you, we realized we were pointing three at ourselves“ überhaupt auch Ironie ist.

Weitere Miteinbeziehungen des Publikums: Dieses zu Berührungen der Hände der Tänzer usw. auffordern, mit Wasser anspritzen,…. im eher herkömmlichen Bereich, die Forderung nach der Identitätskarte oder einem Pass, am besten luxemburgisch, auf der kreativeren Seite. Ein Gast wird schließlich „gefangen genommen“, da eine russische Nationalität die „falsche“ sei. Daraufhin bekommt dieser Papiertüten mit Bildern Prominenter übergestülpt und ist vom Vorgehen her den weiteren Entscheidungen der Zuschauer/innen ausgesetzt. Ein von der Idee her schönes und leider nach wie vor aktuelles Symbolbild.

Das Stück von Robyn Orlin und Maciej Fiszer (Szenografie), in Zusammenarbeit mit der Jant-Bi Company (Tanzzentrum, seit 1998) und Germaine Acogny, bietet interessante Ansätze und Ideen, verliert sich aber thematisch und weicht von der eigenen Definition ab. Die Frage, was das Stück aussagen möchte, bleibt offen im Raum stehen. Das „Hinterfragen von Druck auf den Körper“ steht als eine Möglichkeit im Programmheft, ohne dieses käme man vielleicht nicht darauf.

„At the same time we were pointing a finger at you, we realized we were pointing three at ourselves” wurde 2014 inszeniert und wird zunächst in Frankreich aufgeführt, am 08. und 09.04. in der Oper in Lille, am 11. und 12.04. in Paris.

Webseite von Robyn Orlin: http://www.robynorlin.com/

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