Peer Gynt

Ein Tanz zwischen Fantasie und Realität

Ein grazil über die Bühne schwebender und tanzender Casanova Peer Gynt? Wem diese Vorstellung von Ibsens norwegischem Sagen-Antiheld seltsam anmutet, der hat noch bis Juni die Möglichkeit, sich im Großen Haus des Saarländischen Staatstheaters eines Besseren belehren zu lassen. In seinem Handlungsballett „Peer Gynt“ verleiht Ballettdirektor Stijn Celis dem gleichnamigen Drama von Henrik Ibsen eine neue Sprache: Bewegung.

Saarbrücken. Schon bevor sich im Großen Haus des Saarländischen Staatstheaters der Vorhang hebt, bevor das Orchester unter der Leitung von Christopher Ward zu den ersten Tönen ansetzt, bevor die ersten Balletttänzer über die Bühne schweben, wird dem Zuschauer der Vorhang gewahr, der ihn augenblicklich noch vom Bühnengeschehen trennt, ihm die Sicht auf die „Bretter, die die Welt bedeuten“ versperrt. Bereits dieser Vorhang lädt zum Träumen ein und symbolisiert, was das Publikum sogleich auf der Bühne erwarten wird: eine Verschmelzung von Traum und Wirklichkeit, von Fantasie und Realität, von Schein und Sein. Denn in der Welt von Peer Gynt geraten diese Gegensätze aus den Fugen. Eine auf dem Mond sitzende Dame (mal mit, mal ohne Gesichtszüge), ein Clown, ein allsehendes Auge, eine Waage (des Schicksals?) sind nur einige der Elemente, die der aufmerksame Zuschauer auf dem prachtvollen Vorhang entdecken kann.

Das Handlungsballett des Choreographen Stijn Celis nach der gleichnamigen bekannten Textvorlage des großen norwegischen Dramatikers Henrik Ibsen spielt in Norwegen, den Anfang nimmt die Geschichte im Gudbranstal. Dort bereitet der junge Peer Gynt seiner Mutter großen Kummer. Seinen Fantasien freien Lauf lassend entflieht er in die fantastische Welt seiner Vorstellungen, in der alles möglich ist. Frei, fließend, leicht, der Welt entrückt – so sind auch die Bewegungen des italienischen Balletttänzers Mirko Campigotto, der Peer Gynt verkörpert. Es ist ein Fest, ihm zuzusehen.

Die Theaterzuschauer begleiten Peers Weg zu einer Hochzeit in Haegstad, wo dieser jedoch nicht willkommen ist, was Marioenrico D’Angelo, Masayoshi Katori, Pascal Séraline, Francesco Vecchione und Randolph Ward eindrucksvoll deutlich machen: Mit bedrohlichen Gesten und Bewegungen geben die elegant gekleideten Hutträger Peer zu verstehen, dass er verschwinden soll. Der Lebemann denkt jedoch nicht im Traum daran. Stattdessen macht er den anwesenden Damen beim Tanz seine Aufwartung. So lernt er nicht nur die schöne Solveig (Youn Hui Jeon im weißen Kleid der Unschuld) kennen, sondern verführt auch mit grazilen Avancen die Braut Ingrid. Mehr noch: Er entführt Ingrid von ihrer eigenen Hochzeit.

Doch die Unglückliche war für ihn nur ein kurzlebiges Abenteuer. Kaum im Gebirge, wohin die Flucht der beiden führt, angelangt, hat Peer auch schon das Interesse an ihr verloren und schickt Ingrid fort. Neue Frauenbekanntschaften lassen nicht lange auf sich warten. Er begegnet drei Sennerinnen, die ihn seiner Kleidung entledigen, mit Alkoholika locken und ihn mit ihren Stimmen betören.
In Stijn Celis‘ Ballett wird nämlich nicht nur getanzt, sondern auch gesungen. Diesen Part übernehmen die Sopranistinnen Charlotte Dellion, Lisa Ströckens und Martina Ondruj. Sowie zu einem späteren Zeitpunkt der Bariton Stefan Röttig und die Sopranistin Herdis Anna Jonasdottir, die Peer und Solveig ihre Gesangsstimmen leihen.

In der Halle des Bergkönigs soll Peer die Tochter desselben heiraten. Fantastische Wesen bevölkern diese Szenerie, und es ist ein Spaß, dem aus der Karibik stammenden Balletttänzer Pascal Séraline bei seiner Darstellung des (doch sehr unförmigen) Bergkönigs zuzuschauen. Richtig ulkig sehen er und sein vorwiegend aus Trollen bestehender Hofstaat aus. Edvard Griegs bekannte Komposition „In der Halle des Bergkönigs“ tut ihr Übriges, um die Stimmung der Szene abzurunden. Doch auch eine Bindung mit der grüngesichtigen Tochter des Bergkönigs möchte Peer nicht eingehen. Abermals tritt er die Flucht an – und fällt dem Tod (wunderbar interpretiert von Ramon John) in die Hände, von dem er sich kurzzeitig leiten lässt, bevor er auch diesem den Rücken kehrt.

Eine wunderbar romantische Szene, die sich anschließt, ist der Langlauf mit Solveig, auf die Peer wieder trifft. Doch das Glück in der Winterlandschaft ist von kurzer Dauer. Der Tod überrumpelt Peer, indem er ihm die Tochter des Bergkönigs präsentiert – schwanger! Abermals bleibt dem Schwerenöter und Narzisst nur die Flucht nach vorn. Weg von allem, weg von den Frauen, die sich Verbindlichkeiten wünschen.

Mit der „Morgenstimmung“ von Edvard Grieg eröffnet der zweite Akt. Wieder dürfen sich Peer und Solveig mit sehnsüchtigen Blicken und geschmeidigen Bewegungen näher kommen. Wieder müssen sie sich trennen. Denn Peer verschlägt es als erfolgreichen Geschäftsmann nach Marokko. Der Zauber des Orients breitet sich vor den Augen des Zuschauers aus. Die ganze Szenerie ist ein Fest fürs Auge. Überhaupt verleihen die eindrucksvollen Tänze des Ensembles, die mitreißende Musik der Komponisten Edvard Grieg und Harald Saeverud, das Bühnenbild von Jann Messerli und die prächtigen Kostüme von Catherine Voeffray dem Ballett von Stijn Celis eine ganz besondere Note. Bis Peer Gynt seine geliebte Solveig in die Arme schließen und letztlich doch noch Erlösung finden und dem Tod von der Schippe springen kann, tanzt sich Mirko Campigotto eindrucksvoll durch den zweiten Akt (sowie von Nordafrika bis zurück nach Norwegen). Und obwohl der selbstverliebte Frauenheld Peer Gynt ganz sicherlich kein Sympathieträger ist, nimmt das Publikum durch Mirko Campigottos Darstellung Anteil an seinem Schicksal, verfolgt mit den Augen gebannt jede seiner Bewegungen und freut sich in der Schlusssequenz, wenn der Träumer – durch Solveig geerdet – wieder in der Realität angekommen ist, die ihm – dank Solveig – wie ein Wirklichkeit gewordener Traum vorkommen dürfte.

Zur Seite des Saarländischen Staatstheaters Saarbrücken: http://bit.ly/1aZ811O

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