Der Messias im Medienwahn

"Jesus Christ Superstar" in Trier

Von GRRRRR-Redakteurin Katharina Klasen


Jesus Christus als Liebling der Medienwelt, als Superstar der TV-Branche. Mit dieser Neuinterpretation der biblischen Geschichte hat Regisseur Martin G. Berger den ersten Trierer Musical Award gewonnen. Es ist eine Idee, die beim ersten Hören zunächst fremd anmuten mag, auf der Bühne des Trierer Walzwerks jedoch vollends überzeugt. Nicht zuletzt dank eines herausragenden Ensembles um die Hauptdarsteller David-Michael Johnson und Sascha di Capri.

Trier. Was wäre, wenn Jesus von Nazareth heute leben würde? Welchen Platz hätte er in unserer Gesellschaft? Wie wäre er sozialisiert? Würde er als Superstar gefeiert werden? Regisseur Martin G. Berger hat tief in die interpretatorische Trickkiste gegriffen und alle ihm zugestandenen künstlerischen Freiheiten genutzt, um aus Andrew Lloyd Webbers Rockmusical „Jesus Christ Superstar“ ein neues Meisterwerk zu kreieren. Schon das Bühnenbild-Konzept von Sarah-Katharina Karl bricht mit Gewohntem: Es gibt zwei Zuschauerblöcke, A und B. Während die Zuschauer in Block A die Showbühne samt Regiestudio sehen, blicken die Menschen in Block B auf den Backstagebereich, wo sich das Tanzensemble zu Stückbeginn gerade am Aufwärmen ist. Über einen riesigen Screen oberhalb der beiden Bühnen erfahren die Zuschauer, was jeweils auf der anderen Seite, die ihnen das ganze Stück über verborgen bleibt, geschieht. Das Live-Kamerateam (Yvonne Griesinger, Sandro Mariotti) fängt alle bewegenden Momente (mit Close-ups) ein und erzeugt auf diese Weise eine intensive Nähe zwischen Darstellern und Publikum.

Die Passionsgeschichte ist in fünf Kapitel gegliedert: „The System“, „The Crowds“, „Self Deconstruction“, „Consequences“ und „Being Human“. Und in der Tat ist Jesus ganz und gar Teil des Mediensystems, mehr noch: Angekündigt mit Teaser und Jingle, dem obligatorischen Twitter-Account und eigener TV-Show ist er nicht nur ein begehrter Popstar, sondern DER Superstar seiner Zeit. So dürften die Kenner des Musicals bereits zu Beginn an den Titelsong „Superstar“ denken, in dem es heißt: „If you’d come today, you could have reached a whole nation. Israel in 4 BC had no mass communication.“ Von dieser Textzeile könnte Regisseur Martin G. Berger inspiriert gewesen sein, als er Webbers Stück in einen neuen Kontext setzte.

Während Judas – bereits im ersten Song „Heaven on their minds“ ist Sascha di Capri unglaublich ausdrucksstark, gefühlvoll und mitreißend! – das Unheil kommen sieht, befeuert Simon (Tobias Bieri) als Moderator Jesus‘ Karriere. Er interviewt ihn (genauso, wie man es heute von Musikkanälen im TV kennt) und bittet ihn, seinen neuesten Song „What’s the buzz“ zu präsentieren. Im dazugehörigen Musikvideo lässt JC, wie Jesus von allen genannt wird, Israelis und Palästinenser in Militäruniformen aufmarschieren, um sie dann zu fragen, welchen Sinn dieser Krieg (und das Kämpfen im Allgemeinen) überhaupt habe. Seine Frage zeigt Wirkung: Die Militärs werfen ihre Uniform von sich, um dann in Badehosen gemeinsam mit ihm zu tanzen. Die klare, propagierte Botschaft des Clips: JC ist der Erlöser, der den (Welt-)Frieden bringt.

David-Michael Johnson verkörpert einen charismatischen Jesus, dessen Zustand bedrohlich zwischen Starallüren und Burnout schwankt. Ebenso grandios ist Sascha di Capri in der Rolle des Judas. Glaubhaft spielt er den kritischen und verzweifelten besten Freund des Superstars, den er ungebremst auf einen Abgrund zusteuern sieht. Immer wieder appelliert er an ihn, mehr Gutes zu tun; mit seiner Medienpräsenz und Popularität könne er viel bewegen. Doch JC wird immer mehr vereinnahmt. Seine Fans vergöttern ihn, reißen sich um ihn, krallen sich (im wahrsten Sinne des Wortes) an ihm fest und fordern Wunder. Er ist ihr Messias, der Mittelpunkt und Sinn ihres Lebens. Besonders hervorzuheben ist an dieser Stelle der Chor des Trierer Theaters, der als Fanclub im Publikum sitzt und dann von dort Richtung Bühne zu seinem Idol aufbricht. Ein schöner Einfall der Regie. Stimmlich und schauspielerisch kann Tobias Bieri als Simon Zealotes im gleichnamigen Song überzeugen. Sidonie Smith stellt als Maria Magdalena ihr Talent unter Beweis, lässt die Zuschauer aber bewusst im Unklaren darüber, wie viel Zuneigung die (Wetter-)Moderatorin tatsächlich für den Popstar empfindet. Liebt sie ihn wirklich oder ist ihr Bezirzen nur für die mediale Welt und somit für das eigene Vorankommen auf der Karriereleiter gedacht?

JCs Fangemeinde wird immer größer. Allerdings sind nicht alle über seinen Erfolg erfreut, einigen wird er zu mächtig, zu gefährlich. Hinter seinem Rücken plant der schmierige, hinterhältige und skrupellose Produzent Kaiphas (Christopher Ryan) bereits JCs Sturz. Unterstützung erfährt er dabei von seinem Komplizen Hannas. Vini Gomes spielt Hannas wunderbar böse; seine  Abneigung gegen JC ist in jeder Sekunde spürbar, er ist sich auch nicht zu schade dafür, die Medienwelt und JCs Anhänger gegen ihren Liebling aufzuhetzen. Schnell steht der folgenschwere Entschluss fest: „This Jesus must die!“

Der Ausgang der biblischen Geschichte ist bekannt: Jesus stirbt am Kreuz, zum Tode verurteilt von Pontius Pilatus (Norman Steht), dessen verzweifelte Versuche, JC zu retten, scheitern. Pilatus denkt an seinen Traum, geißelt sich selbst nach der Erkenntnis, dass er keine andere Wahl hat, als dem Willen des Volkes zu entsprechen. Castingdirektorin Herodes (die fantastische Carin Filipčić) hingegen ist amüsiert vom Schicksal des gepeinigten Superstars. Sie fordert von ihm die Herbeiführung eines Wunders; dann wäre sie bereit, ihn von seiner Zwangsjacke, die ihm inzwischen verpasst wurde, zu befreien. Doch JC bleibt apathisch – und sein vorbestimmtes Schicksal somit unausweichlich. Die Kreuzigung ist mit beeindruckendem Kameraspiel und viel Liebe zum Detail inszeniert – beängstigend, packend, bewegend.

Mit seiner Neuinterpretation von „Jesus Christ Superstar“ setzt Regisseur Martin G. Berger neue Maßstäbe. Eine Wiederaufnahme wäre wünschenswert.

 

Fotos: Theater Trier

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